Vom 5. bis 13. April 2018 fand eine Austauschbegegnung zwischen den SchülerInnen des Ulrichsgymnasiums und der Kiewer Schule Nr. 40 in Norden statt.

Im Zentrum der Begegnung stand die gemeinsame Arbeit am Projekt „Flucht“, die im Wesentlichen in drei Etappen stattfand, einer Phase der Annäherung an das Thema durch ein historisches Beispiel, einer Phase des Informationserwerbs und einer Phase der Erweiterung der Kenntnisse durch Beispiele der ästhetischen Reflexion.

Am Freitag, 6.4. wurde als erster Schritt ein Einstieg in das Thema durch den Besuch der Ausstellung über das Schicksal der Boat-People im Norder Teemuseum versucht. Die Schüler arbeiteten im deutsch-ukrainischen Tandem, d.h., jeder deutsche Schüler war dafür verantworlich, dass sein ukrainischer Austauschpartner alles verstand, und bearbeiteten gemeinsam ein Arbeitsblatt. Sie sollten sich für eine der dargestellten Personen entscheiden und ein Handybild von deren Portrait machen. Dann sollten sie herausfinden, warum dieser Mensch geflüchtet ist, was er auf seiner Flucht erlebt hat und was ihm geholfen hat, in Deutschland anzukommen. Ihre Ergebnisse sollten am Montag in der Schule vorgestellt werden.

Die Arbeit im Tandem erwies sich als sehr zielführend, da die deutschen SchülerInnen, indem sie ständig die relevanten Informationen herausfiltern und diese dann ihren Partnern erklären mussten, sich besonders intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Ein positiver Nebeneffekt war, dass durch diese intensive Zusammenarbeit mehr Vertrautheit zwischen den Austauschpartnern entstand und die ukrainischen Jugendlichen gleich ins Reden in der Zielsprache Deutsch kamen. Da die Ergebnisse innerhalb der gesamten Lerngruppe vorgestellt werden sollten, bemühten sich alle Beteiligten um stimmig formulierte Ergebnisse. Die nächste Etappe bzw. der Hauptprojekttag fand am Montag, 9.4.18 statt. In den ersten zwei Stunden sollten die Schüler sich Grundlagenwissen über das Thema aneignen, danach sollte durch konkrete Anschauung direkt erfahren werden, wie Geflüchtete in Norden leben, was ihnen hilft und welche Probleme es gibt. Zunächst stellten die Schüler ihre Ergebnisse des Museumsbesuchs am Freitag vor. Die sehr emotionalisierenden Bilder der Ausstellung, z. B. die Fotos von überfüllten Booten der Vietnamflüchtlinge und die Darstellung der Fluchtursachen, verdeutlichten bereits, wie sehr das Schicksal dieser Menschen dem der Geflüchteten heute ähnelt. Er wurde deutlich, dass die Boat-People vor allem durch die klare Perspektive, bleiben zu dürfen, motiviert waren, sich in die Gesellschaft zu integrieren, was sich u. a. darin spiegelt, dass überdurchschnittlich viele Schüler mit vietnamesischem Migrationshintergrund das Gymnasium besuchen.

Anschließend kommentierten die Schüler verschiedene Symbolbilder, z. B. ein Bild, das einen mit Flüchtlingen hoffnungslos überfüllten Lastwagen in der Wüste zeigt, eine Karte mit den verschiedenen Fluchtwegen, Fotos, die die Abschottungspolitik der EU und die Zustände in den riesigen Flüchtlingslagern belegen und sie erarbeiteten sich mithilfe weiterer Materialien (vor allem Darstellungen aus der Zeitschrift „Fluter“ Nr. 55, „Thema: Flucht“) Hintergrundwissen.

Um 10 Uhr fuhren wir zur Flüchtlingsaufnahmestelle nach Utlandshörn. Dort wurde uns die Anlage gezeigt, u. a. auch die Reparaturwerkstatt, in der die Geflüchteten mit 1-Eurojobs Holzarbeiten verrichten und wo jeder, der möchte, in Form eines Praktikums lernen kann, wie man mit verschiedenen Werkzeugen und Maschinen zur Holzverarbeitung umgeht, die Fahrradwerkstatt, die ähnlich wie die Holzwerkstatt genutzt wird, Alis Laden, in dem zum Selbstkostenpreis Lebensmittel aus den Herkunftsländern verkauft werden und die Räume, wo die Kinder wie in einer Krippe bzw. einem Kindergarten betreut werden.

Wir nahmen anschließend in kleine Gruppen aufgeteilt an den Deutschsprachkursen teil, wo wir mit einigen Geflüchteten ins Gespräch kamen. Wir erfuhren z. B., dass in Libanon die Polizei Flüchtende aufgreift, in Gefängnisse sperrt und nur gegen ein Lösegeld von 5000 Euro wieder freilässt, dass in der Wüste Gefahren durch Räuber drohen, dass ein Teilnehmer dieses Deutschkurses fast ertrunken wäre, weil sein Schlauchboot kaputt ging und wie furchtbar lange die Menschen unterwegs waren. Einige mochten gar nichts erzählen, sagten nur, dass die Flucht furchtbar gewesen sei, andere hatten, während sie erzählten, Tränen in den Augen. Wir merkten, dass es etwas anderes ist, diese furchtbaren Ereignisse als persönliche Geschichte erzählt zu bekommen statt davon aus den Medien zu erfahren. Gegen Mittag kochten wir gemeinsam mit einigen Bewohnern des Flüchtlingsheims ein leckeres eritreisches Wrap mit Humus und Salat., das wir dann im großen Speisesaal der Einrichtung verzehrten.

Wir verließen Utlandshörn tief beeindruckt gegen 14 Uhr. Die SchülerInnen werden sicherlich noch einige Zeit über die Erzählungen der Geflüchteten nachdenken. Wir haben außerdem erfahren, dass in dieser Einrichtung die Verbindung zwischen praktischer Arbeit in der Werkstatt und Sprachkurs besonders effizient beim Spracherwerb und für die Integration ist und dass auf vielerlei Art versucht wird, z. B. durch die Vermittlung von Praktika und Freizeitangeboten, eine Perspektive für die Geflüchteten zu schaffen. Was aber nach wie vor noch gebraucht wird, sind Kontakte zur ansässigen Bevölkerung. Die dritte Etappe der Projektarbeit fand am Mittwoch, 11.4. während unseres Ausflugs nach Emden statt und stellt eine Erweiterung der Betrachtung des Themas vor allem im Bereich der Kunst dar. Herr Thiele erzählte vor einer großen Grafittiwand zum Thema „Flucht“, wie stark die Stadt Emden in der Nachkriegszeit von diesem Phänomen betroffen war.

Während des Besuchs der „Amerika“-Ausstellung in der Kunsthalle Emden ging es dann um die Reflektion des Themas Migration in einem Land, das sich selbst aus Migranten geformt hat.

Der Austausch wurde vom Förderverein des Ulrichsgymnasiums und vom Auswärtigen Amt bzw. dem Pädagogischen Austauschdienst gefördert.

Martina Jürgens