VERANSTALTUNG Gedenkfeier am Synagogenweg am Sonnabend findet großen Anklang – Internationaler Charakter
Nicht nur Deutsche sprechen, auch Franzosen, Engländer und Österreicher mahnen und werben für ein europäisches Haus ohne Grenzen.

NORDEN/ISH – Nieselregen, Kälte. Und sie stehen da unten zusammen, mehr als eine halbe Stunde lang. Am Ende halten sie alle ihre batteriebetriebenen Teelichter hoch in den dunklen Abendhimmel. Stehen da unten, dort, wo einst die Norder Synagoge stand. Fast 40 Jugendliche. Ihnen gegenüber viele, sehr viele Norder, mehr als in den anderen Jahren. Und klatschen.


„Das haben wir noch nie gemacht“, hatte Walter Demandt, der Sprecher des ökumenischen Arbeitskreises Synagogenweg, bei der jährlichen Gedenkfeier am Abend zuvor gesagt. Aber diesmal, das spürte er, musste es einfach sein, und so bat er die Zuhörer um Applaus. Und die spendeten ihn, dankbar dafür, sich auf diese Weise äußern zu dürfen für diesen besonderen Moment.
Die jungen Leute sind aus Paris gekommen, aus Marseille, Newcastle und Wien. Um gemeinsam mit ihren Altersgenossen am Norder Ulrichsgymnasium (UGN) das Relais de la mémoire fortzuführen (wir berichteten). Alle gemeinsam stehen sie dort im Regen und reden den vielen, die gekommen sind, ebenso ins Gewissen wie allen anderen, die das Sagen haben in dieser unserer Welt.
Fordern auf, gegen Rassismus, gegen Nationalismus, gegen Populismus aktiv zu werden, ja, zu kämpfen sagen sie. Aufzustehen und gemeinsam für Europa einzustehen. Und sie selbst sind es, die es vormachen. Die eine spricht englisch, der nächste französisch, dann nehmen Österreicher oder Deutsche das Mikrofon in die Hand. Sie formulieren es in ihrer Sprache, aber die Botschaft ist eine gemeinsame, das wird deutlich an diesem Sonnabend im Norder Synagogenweg – diese jungen Menschen machen es vor: Zusammen geht es, zusammen findet man einen Weg. „Wir sind eine Familie“, sagen sie und meinen Europa. Nein – nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen, sondern respektvoll, tolerant miteinander umgehen. „Vielfalt bereichert!“
Nach jedem Satz wird ein Teelicht entzündet, am Ende der kurzen Gedenkfeier leuchtet es von allen Seiten – spätestens jetzt ist er da, spätestens jetzt spürt ihn jeder, diesen bewegenden Moment.
Der Posaunenchor der Ludgeri- Gemeinde umrahmt die halbe Stunde wie in allen Jahren zuvor, neben Walter Demandt spricht auch Petra Drüke, die Hauptorganisatorin des Relais de la mémoire am UGN. Gemeinsam mit ihrem Lehrerkollegen Dr. Jörg Rademacher hat sie unter anderem diesen Abend vorbereitet.
Demandt und Drüke erinnern an den 9. November 1938, an die Folgen brennender Synagogen im ganzen Land und nehmen Bezug auf das Jetzt. Auf die jüngst immer stärker zunehmenden antisemitischen Tendenzen in Deutschland. Es gebe Grund genug, sich auch 81 Jahre nach der Reichskristallnacht zu erinnern, was den jüdischen Mitbürgern angetan worden sei, sagte Demandt. Er nannte den Anschlag von Halle und die Schändung des Mahnmals auf dem Norder jüdischen Friedhof als Beispiel. „Der Antisemitismus wird offener“, sagte Demandt. Es sei an der Zeit, die Stimme zu erheben und Solidarität mit allen Juden zum Ausdruck zu bringen.
Drüke fand ebenfalls deutliche Worte. Wie könne es sein, fragte sie, dass Menschen hierzulande die Geschehnisse von damals als Vogelschiss in der Geschichte bezeichneten, wie könne es sein, dass Menschen meinten, es müsse jetzt auch einmal gut sein mit der Geschichte, dass Demütigungen auf offener Straße möglich seien, dass Menschen den Tod jüdischer Mitbürger wollten, dass Menschen das Menschenrecht abgesprochen werde, nur weil sie eine andere Hautfarbe hätten oder eine andere Religion?
„Die Zeitzeugen sterben“, ergänzte Drüke und nahm Bezug auf die Arbeit des Relais de la mémoire: „Die jungen Leute geben Hoffnung!“ Recht hatte sie. Alle, die am Sonnabend in den Synagogenweg gekommen waren, an der Gedenkfeier teilnahmen und vielleicht anschließend auch noch einen Blick warfen auf die Ergebnisse der Workshops, an denen die Jugendlichen an den letzten Tagen in Norden teilgenommen hatten, konnten sich direkt davon überzeugen.

Entnommen aus dem Ostfriesischen Kurier vom 11.11.2019, Seite 4.