SOZIALES Besonders im Internet sind verbale Angriffe auf Jugendliche keine Seltenheit

Das Ulrichsgymnasium Norden betreibt bei seinen Schülern darum vermehrt Aufklärungsarbeit.

NORDEN/THE – Schulangst, Bauchschmerzen, niedriges Selbstwertgefühl – aber auch Depressionen, Essstörungen und Selbstverletzung. Die Folgen von Mobbing können für Betroffene durchaus ernst werden. Einer Pisa-Studie zufolge sind besonders oft Schüler Opfer von Mobbing. Beinahe jeder sechste Neuntklässler (15,7 Prozent) wird in Deutschland mehrfach im Monat Ziel solcher Angriffe. Das Ulrichsgymnasium Norden (UGN) hat sich darum Prävention auf die Fahnen geschrieben.
„Wir haben am UGN Mobbingprobleme und nehmen das Thema sehr ernst“, sagt Martina Jürgens, eine der Beratungslehrerinnen. Vier Lehrkräfte der Schule haben sich daher zu einem sogenannten Mobbinginterventionsteam (MIT) ausbilden lassen. Neben Jürgens gehören dazu auch der Beratungslehrer Jürgen Deckena, die Lehrerinnen Ulrike Baaske und Silke Burlage.
Mobbing kann verschiedene Formen annehmen. Und treffen kann es jeden, betonen die Lehrer. Die Ursache für das Mobbing sei oft eher beim Täter als beim Opfer zu suchen. „Sie fühlen sich oft ohnmächtig und suchen sich für ihr Geltungsbedürfnis ein gefälliges Opfer“, sagt Deckena. Mobbing kann sich verbal oder physisch – dann zum Beispiel durch Verprügeln – manifestieren. Auch Kontaktvermeidung kann zu den Mobbing-Handlungen zählen. In der Regel gehe es darum, wer zu einer Gruppe gehört und wer nicht. Die Betroffenen leiden meist sehr unter der Situation, werden oft immer unsicherer und ziehen sich zurück, was die Angriffsfläche der Mobber vergrößert. Gerade in der Pubertät sei Mobbing ein großes Thema. „Da kann sich vieles verselbstständigen“, sagt Jürgens. Alle Beteiligten hätten eine „dünne Haut“ und kleine Konflikte oder Missverständnisse könnten ausarten.
Der Fokus der Arbeit des UGN-Teams liegt auf derMobbing- Prävention. „Wir haben im fünften Jahrgang eine Wochenstunde das Programm ,Lion’sQuest’, indemes darum geht, den Klassenzusammenhalt und das Selbstwertgefühl der Schüler zu verbessern“, so Jürgens. Dazu gibt es ebensfalls in der fünften Klasse den Klassenrat, in dem demokratische Entscheidungen getroffen werden. „Da kann über Dinge wie Handynutzung auf der Klassenfahrt oder über den nächsten Wandertag entschieden werden“, erklärt sie. Der Klassenrat kann dann in späteren Klassenstufen immer wieder als Instrument für größere Entscheidungen herangezogen werden. „Die Schüler sollen mit dem Thema groß werden. Sie lernen dabei, ihre Meinungen zu formulieren und auch die Einstellungen der anderen zu respektieren.“
Dennoch komme es vor, dass das MIT einschreiten müsse. „Wenn Mobbing auftritt, intervenieren wir meist zu zweit“, sagt Baaske. „Und das klappt soweit ganz gut.“ Schüler bräuchten keine Angst zu haben, dass das Mobbing durch die Intervention schlimmer werde, beteuert sie.
Wie das Team von Mobbing- Fällen erfährt, ist unterschiedlich. „Im Idealfall spricht uns der betroffene Schüler selbst an“, so Burlage. „Häufig sind es es aber auch Eltern, Mitschüler oder Lehrer, die den Hinweis geben.“
Erreichbar sei das Team quasi immer. „In jeder Pause kann man uns ansprechen, wir können im akuten Fall aber auch aus dem Unterricht geholt werden“, sagt Baaske. Zudem gebe es die Möglichkeit, über das Intranet einen Gesprächstermin zu vereinbaren.
Auch die Wege, wie die vier Lehrer mit dem Fall umgehen, sind verschieden. Das Wichtigste sei aber, dass der Betroffene selbst die Hilfe annimmt. Das sei bisher aber immer der Fall gewesen. „Es kann durchaus sinnvoll sein, den Täter mit ins Boot zu holen“, sagt Jürgens. „Denn jemand, der mobbt, hat oft selbst Verletzungen erfahren.“
Neben dem „klassischen“ Mobbing, bei dem der Schulalltag zum Spießrutenlauf wird, hat in den vergangenen Jahren aber besonders das Cyber-Mobbing zugenommen. „Das hat inzwischen ganz besondere Dimensionen angenommen, teilweise sind sogar einige Eltern daran beteiligt“, sagt die Beratungslehrerin. Das liege oft an dem unbedachten Umgang vieler Menschen mit sozialen Netzwerken und Nachrichtendiensten. „Wir haben es schon erlebt, dass das Mobbing über die Handys der Schüler bis hin zu Morddrohungen geht. Da müssen wir dann auch präsent sein, damit sich die Fronten nicht vehärten.“ Allerdings sei das Interesse der Eltern hoch, was Cyber-Mobbing angeht. „Die rechtlichen Aspekte und das Ausmaß des Problems werden da oft völlig unterschätzt“, so Burlage.
Ab der fünften Klasse steige die Zahl der Cyber-Mobbing- Fälle Jahr für Jahr an, sagen die Lehrer. „Aber zumindest am UGN haben wir in der Oberstufe kaum noch damit zu tun“, schränkt Deckena ein.
Das Schlimmste an Cyber- Mobbing, ist sich das Team einig, ist die fehlende Möglichkeit zur Abschottung. „Das trifft einen überall und immer, das Handy ist ja immer dabei“, so Baaske.
Bei Projekttagen in der vergangenen Woche haben die Schüler der sechsten Klassenstufe mehr über das Thema gelernt. „Da gibt es zum Beispiel einen Film, bei dem man sich gut in das Opfer hineinversetzen kann“, sagt Jürgens. Mithilfe der Projektionsfläche, die der Film bietet, entwickeln die Schüler gemeinsam Strategien, wie Mobbing erkannt und ihm entgegengewirkt werden kann. Die Ergebnisse werden auf Plakaten festgehalten, die in den Gängen aufgehängt werden. So soll das Thema Mobbing präsenter werden. „In der Projektwoche werden da aber auch grundlegende technische Sachen besprochen – zum Beispiel, wie man einen Screenshot macht“, so Jürgens.
Für die Zukunft plant das MIT weitere Workshops, unter anderem ist eine Kooperation mit der Polizei angedacht. Immer wieder gebe es schließlich Situationen, in denen das Mobbing Ausmaße annimmt, die strafrechtlich relevant sind. „Wir hatten einmal eine Mutter, die hat mit einer Anzeige gegen andere Schüler gedroht, um ihre Tochter zu schützen“, berichtet Baaske. Man wolle mit einer derartigen Kooperation zeigen, dass Mobbing nicht nur eine Albernheit auf dem Schulhof sei, sondern dass die Betroffenen oft ein Leben lang mit den Folgen leben müssten.
Erwachsene könnten im Übrigen ihren Teil zur Präventionsarbeit beitragen. So könnten sie Kindern ein gutes Vorbild bieten, zum Beispiel dadurch, eine gute Gesprächskultur zu pflegen oder sich weltoffen zu geben. Wenn der Verdacht bestehe, dass ein Kind in der eigenen Umgebung gemobbt wird, sei es immer nötig, mit jemandem zu sprechen. „Man sollte nicht erst abwarten, bis es schlimmer wird“, sagt Baaske.

Entnommen aus dem Ostfriesischen Kurier vom 22.01.2019, Seite 3.