VERANSTALTUNG Projekt von Jugendlichen aus Miastko/Polen und aus Norden
NORDEN/ISH – Das Bild von Janusz Korczak hängt hinten am Vorhang der kleinen Bühne. Der Blick ein wenig skeptisch. Aber nur ein wenig. Und hätte Korczak nicht Grund gehabt, zufrieden zu sein, sehr sogar?

Wenn sich Kinder, wenn sich Jugendliche, wenn sich Erwachsene 76 Jahre nach seinem Tod mit seinen Schriften auseinandersetzen, seine Ideen weitergeben? Möglich aber auch, dass der kritische Blick des Arztes, Schriftstellers, Waisenhausleiters seine Sorgen offenbarte, Sorgen über die derzeitige Lage in der Welt. Immer noch Kriege, immer noch Menschen auf der Flucht, immer noch Menschen, die seine Botschaften nicht verstanden, vermutlich nicht gelesen oder überhaupt jemals von ihnen gehört haben. Seit dem letzten Wochenende immerhin gibt es ein paar Leute mehr, die auf Janusz Korczak aufmerksam geworden sind, all jene nämlich, die den „König der Kinder“ in der Aula des Norder Ulrichsgymnasiums gesehen haben, eine Zusammenstellung von Musik und Texten unter der Leitung von Astrid Willamowski und Zbigniew Kullas.
Jugendliche aus Norden und aus Miastko in Polen treffen sich, seit zehn Jahren schon. Musizieren miteinander, starten gemeinsame Projekte. Erinnern sich an schreckliche Taten in der Vergangenheit. Dr. Helmut Kirschstein sprach von Trauer und Schmerz. „Trauer und Schmerz“, sagte er, „werden zum Bindeglied, wenn wir miteinander unseren Schmerz und unsere Trauer teilen.“ Kirschstein hatte als Vertreter des Vereins Gnadenkirche Tidofeld den musikalisch-literarischen Abend eröffnet. Über Zbigniew Kullas hat der Verein Kontakte zur Musikschule in Miastko/ Polen geknüpft, in den letzten zehn Jahren hat es immer wieder gemeinsame Projekte zu verschiedenen Themen mit Musikschülern von dort und Jugendlichen des Norder Ulrichsgymnasiums gegeben.
Vor allem der musikalische Teil blieb am vergangenen Freitag unter der Leitung von Justyna Depka Pradzynska und Jochen Fischer Schülern und Schülerinnen vorbehalten. Sie bildeten ein kleines gemeinsames Orchester, das kaum genug Platz hatte vor den gut gefüllten Zuschauerreihen, und sie sangen. Allein dieser Part ging jedem im Publikum unter die Haut, jede und jeder spürte die Betroffenheit, die sich ausbreitete. Nicht nötig, jedes Wort zu verstehen, nicht nötig, des Polnischen mächtig zu sein – die Texte Korczaks zuvor hatten den Boden bereitet. Die zumeist Rainer Ubben, Zbigniew Kullas und Astrid Willamowski vorgetragen, erläutert, in Zusammenhang gebracht und mit kleinen, von Jugendlichen gesprochenen Szenen, wirkungsvoll ergänzt hatten. Wer dieser Mann Janusz Korczak gewesen ist, der 1940 200 Waisenkinder ins Warschauer Ghetto und im Sommer 1942 ins Vernichtungslager Treblinka begleitet hatte.
Arzt, Reformpädagoge, Schriftsteller, vor allem aber ein Mann, der Kinder nicht nur ernst nahm, sondern ihnen in seinem Wirken die Rechte ermöglichte und zugestand, die sie als Menschen unter Menschen haben sollten.
Es war so schade, dass es manchmal nur mit äußerster Konzentration möglich war, die Worte in der Aula zu verstehen. Technische Probleme von Beginn an waren in diesem Zusammenhang mehr als einfach nur ärgerlich. Trotzdem wurde jedem deutlich, was Korczak gelebt hatte. Der Kindern zuhörte, von ihnen lernte und seine Beobachtungen und Erfahrungen nicht nur in Schriften festhielt, sondern sie mit „seinen“ Kindern im Waisenhaus auch lebte. Und so wird jeder Besucher an diesem Freitag nachdenklich, aber auch erfüllt vom Miterlebten, nach Hause gegangen sein. Das so eindringlich vorgetragene Lied vom Städtchen Belz noch im Ohr – verlorene Heimat, ein immer wiederkehrendes aktuelles Thema, das den Abend zusätzlich an- und bereichert hatte.

Entnommen aus dem Ostfriesischen Kurier vom 19.11.2018, Seite 4.